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Hans Kurmann:

Schamanistische Elemente in alpenländischen Jenseitsvorstellungen
Der 1923 geborene Hans Kurmann aus Willisau war ein waschechter Luzerner Hinterländer. Im alten Löwen in Hergiswil. Er setzte seinen Stumpen nur ab, um einen Schluck Kaffee, Schnaps oder eine ordentliche Prise Schnupftabak zu nehmen. Kurmann, von Beruf Feldmauser und landwirtschaftlicher Angestellter, verdanke ich wertvolle Hinweise zum System der „Zwölften“. Unter dieser Bezeichnung versteht man die zwölf Tage zwischen Weihnacht und Dreikönige. In dieser Zeit sind die Wesen aus dem Reich der Geister besonders unberechenbar. Sie treten als heftige Winde oder geisterhafte Kobolde auf und verursachen Krankheiten, die oft den Tod zur Folge haben. Der Mensch tut deshalb gut daran, ihnen vor allem in der Nacht aus dem Weg zu gehen.

Die Beobachtungen des Hans Kurmann hängen mit dem Glauben zusammen, wonach Unwetter, besonders aber heftige Westwinde, Hagel und Gewitter, von den Wesen des Jenseits gemacht würden. Dementsprechend ist in vielen Erzählungen vom Türst die Rede, der im tosenden Sturmwind mitreitet und das Heer der namenlosen Toten anführt. Der wilde Zug, heißt es, zerschmettere alles, was sich ihm in den Weg stelle. Nur durch das Aufstellen von Kreuzen und gegen den Sturmwind gespritztes Weihwasser könne die zerstörerische Kraft des Totenheeres gemildert oder von Haus und Hof abgewehrt werden.

Bis in die Gegenwart haben sich im Alpenraum Gebräuche und Glaubensvorstellungen erhalten, die ihre Wurzeln in der vorchristlichen Zeit haben. Es gibt eine ausgeprägte schamanistische Landschaft, in der Kapellen, Bäume, Haine und Hecken ihre besondere Bedeutung haben. Und es gibt vor allem ein schamanistisches Bewusstsein, das im Glauben an eine von Geistern und unruhigen Seelen bewohnten Natur zum Ausdruck kommt. Dieser Glaube wird mündlich weitergegeben. Er umfasst alle im Laufe der Zeit gemachten religiösen Erfahrung der Menschen, weshalb er auch christliche Elemente enthält.

Die Sträggele, die Schamanin der Geisterwelt
In der Nacht schweifen die Seelen unruhig Verstorbener umher. Sie folgen unsichtbaren Wegen, die seit Menschengedenken einen bestimmten Verlauf nehmen. Mit Rauschen, Tosen und einem Geheul, das demjenigen jagender Hunde ähnlich ist, kündet sich der geisterhafte Zug an. Die „Wilde Jagd“, die man an anderen Orten Wuotisheer, Muotiseel oder Türstjagd nennt, zerschmettert unbarmherzig alles, was im Wege steht. Grausam ist das Schicksal der Unvorsichtigen und Spötter. Sie werden zerfetzt und müssen sich dem Gefolge anschließen. In einer Sage aus Fischbach, Kanton Luzern streckt eine Mutter ihr unfolgsames Kind nachts aus dem Fenster. Doch der Knecht, der sich als Hexe hätte ausgeben und das Kind erschrecken sollen, kommt zu spät. An seiner Stelle erscheint die im wilden Heer mitreitende Nachthexe, die Sträggele, die der Mutter das schreiende Kinde entreißt. Am nächsten Morgen fanden die Leute bei der Kreuztanne, die früher in der Nähe der Liegenschaft Ober-Gretti stand, Beinchen und Haare des Kindes sowie einige Fetzen von seinen Kleidern. Als die Kreuztanne später gefällt wurde, floss Blut aus dem Holz. Als Zeichen der Versöhnung mit den hier wirkenden Mächten errichtete man ein steinernes Kreuz, an dem jenes Eisenkreuz angebracht wurde, das früher an der Tanne hing. Dieses Kreuz steht noch heute; das in der Nähe stehende Wäldchen gilt immer noch als Aufenthaltsort unruhiger Seelen.

In ihrer ursprünglichen Bedeutung ist die Sträggele ein zwischen dem Diesseits und dem Jenseits stehendes Wesen, das die Seelen der Verstorbenen abholt und auf ihrem gefährlichen Weg ins Reich der Toten begleitet. In gewissem Sinne ist sie die Schamanin der Geisterwelt. Sie nimmt die Seelen der Verstorbenen in Empfang und gliedert sie ein in das von Wodan angeführte Heer der Toten. Erst durch die Christianisierung hat sie eine negative Umdeutung erfahren.

Von Kurt Lussi