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Elkshoulder, Medizinmann der Cheyenne

NAME: Georg Elkshoulder
GEBURTSORT UND DATUM: Montana, um ca. 1915
STAMM: Cheyenne (Tsistsistas)
Georg Elkshoulder - zu deutsch „Hirschschulter“ - ist ein, weit über das Reservat hinaus bekannter Medizinmann der Cheyenne - oder Tsistsistas, wie sie sich selber bezeichnen. Elkshoulder, den sein Volk respektvoll als den „alten Mann“ bezeichnet, kennt die überlieferten Stammeszeremonien wie kein anderer, zudem ist er als einer der machtvollsten Heiler bekannt. Es kommen sogar die Absarokee, die Krähen Indianer, zu ihm, wenn ihnen die eigenen Medizinleute nicht weiter helfen können.
(...)
Als Stammesältester ist Elkshoulder für die Zeremonien verantwortlich, die durchgeführt werden müssen, damit das Weltall weiter bestehen kann. Um Visionen zu erlangen, fastet er in der Wildnis, bis ihm die Tierlehrer erscheinen; als er jung war „opferte“ er sich, indem er beim Sonnentanz am Sonnenpfahl, mit Haken befestigt, tagelang tanzte bis seine Seele abhob und Maheo und die anderen Geistwesen ihm Visionen bescherten. Als Traditionalist hält er nicht viel von alkoholischen Delirien order auch dem viel sanfteren Peyote-Kult, der in den zwanziger Jahren vom Süden her kam. „Diese Visionen gehen mit Sinnesverwirrung einher. Der Jäger und Krieger braucht scharfe Sinne.“
(...)
Als Professor des Sheridan College in Wyoming unterrichtete ich damals einen Kurs in Medical Anthropology, wobei ich mich vor allem auf die verschiedenen Heilkräutertraditionen konzentrierte. Da eine der Studentinnen eine adoptierte Cheyenne war, erfuhr der Ältestenrat von den Vorlesungen und schickte mir den „Außenminister“ des Stammes, den alten Medizinmann Bill Tallbull. Unter anderem wollten sie genauer wissen, wie die von den weißen Siedlern eingeschleppten Kräuter, die nun an den Straßenrändern, in den Gärten und in den bewässerten Feldern wuchsen, in der europäischen Volksheilkunde verwendet werden. Maria Treben sei dank, konnte ich ihm auch seine Fragen beantworten. Wir wurden gute Freunde und, wenn Wetter und Zeit erlaubten, zogen wir mit den Hunden los in die Wälder der Big Horn Mountains, in die baumlose Steppe oder an das Ufer des heiligen Sees, Lake de Smet.
(...)
Einmal brachte er Georg Elkshoulder mit, ein Indianer, wie man ihn sich einst in der romantischen Literatur vorgestellt hatte: Groß, kräftig, eine auffallend aufrechte Haltung, ein klarer Blick in den Augen. Der „Alte“ war gar nicht viel älter als Tallbull. Zuerst setzten wir uns hin zu einer gemeinsamen Mahlzeit: Elch-Steak aus der Gefriertruhe, und zwar großzügige Portionen, denn die Indianer als Erben paleolithischer Großwildjäger sehen einen saftigen Braten als Freundschaftsgeste an. Dazu gab es Salat aus meinem Biogarten. Elkshoulder sagte den ganzen Tag außer einem „Hallo“ nichts; Es war Tallbulls Aufgabe zu sprechen.
(...)
Am Abend sprach er mit deutlichen, ruhigen Worten: „Die kleinen Leute, mit ihren Ponnies und Hunden, mit Sack und Pack, sind in den See gezogen!“

Ich starrte ihn an. Was wollte er da sagen?

„Ähm ...entschuldige, ich verstehe nicht, könntest Du das erklären?“ fragte ich vorsichtig. Er richtete sich noch gerader auf, und aus seiner Stimme klang die ganze Würde eines Stammesältesten und Medizinmanns:

„Es wurde gesehen!“ sagte er, ehe er sich abwandte und in den Wagen stieg. Und dann verstand ich. Es war sein Dank an mich. Es war ein wunderbares Geschenk, welches seither einen nicht wegzudenkenden Einfluss in meinem Leben ausübte und meine Arbeit mitprägt. Nicht eine Decke oder eine mit gefärbten Stachelschweinquillen verzierte Gürtelschnalle hatte er mir geschenkt, sondern eine Vision. Er hatte sie hingezaubert, etwa so, wie der indische Guru seinem Schüler ein Darshana vermittelt, oder der japanische No-Meister mit einer einzigen Handbewegung ganze Landschaften vor das innere Auge zaubert. Plötzlich gewahrte ich, wie indianische Gnomen und Elfen - oder wie immer man sie nennen will - mit winzigen Pferdchen, die auf Tragstangen (Travois) geschnürte Bündel zogen, unter den Wasserspiegel verschwanden.

Visionen sind für die Indianer das heiligste aller Güter. Ohne Visionen kann kein Mensch, kein Volk leben. Visionen öffnen die Sichtweise zu den geistigen Konturen des Universums, zu den Kräften und Wesenheiten, welche die sichtbare, alltägliche Welt durchdringen und tragen. Visionen gehören allein demjenigen, dem sie offenbart wurden. Er kann sie zwar erzählen, aber niemand kann sie sich aneigenen. Den Chevrolet des Indianers darf ich einfach ohne zu fragen wegfahren, wenn ich ihn benötige; sein Gewehr darf ich von der Wand nehmen, wenn ich es unbedingt brauche. Aber seine Vision darf ich mir nicht aneignen, das wäre verwerflicher als Diebstahl. Eine Vision kann aber geschenkt werden, an einen Freund oder vor allem an einen Neffen, einem Sohn der Schwester. Eine Vision kann auch dem Eigner abgekauft werden, aber das ist teuer, das kostet schon einen Stapel Decken und mehrere Pferde.
(...)
Wir hielten an dem abgelegenen kleinen gelben Häuschen. Elkshoulders Frau lud uns in die saubere Stube. An der Wand hing ein Bild von einem Hirsch und ein großer Poster, auf dem der große Medizinmann Jesus zu sehen war. Ja, beteuerte sie, der alte Mann wollte mich unbedingt sehen. Nun aber mußte er dringend zu einer Zeremonie auf den Heiligen Bärenberg Nowah’wus, in den Black Hills, gehen und käme erst in einer Woche wieder zurück. Sie erzählte, wie er die Woche zuvor eine Krähenindianerin, durch das Auflegen eines erhitzten Steines, von den Folgen eines Schlaganfalls geheilt hatte, „Ihr Gesicht war schrecklich verzerrt gewesen. Die weißen Ärzte nennen das einen Schlaganfall, es war aber ein böser Geist der in sie hineingeschlüpft war.“

Ich nahm Platz und merkte, daß sich die Atmosphäre in der Stube verändert hatte. Elkshoulders großer Sessel, in dem er immer saß, wenn er zuhause war, rückte in den Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit. Die Frau erzählte weiter. Sie erzählte von diesem und jenem, dabei deutete sie ab und zu auf den Sessel, und sagte, „Ja, und wie der alte Mann, sagt ...“ oder „Der alte Mann hier macht es so und so!“

Ich spürte seine Gegenwart. Ich wußte, wenn er auf dem heiligen Berg war, und mit den anderen indianischen Zauberern die alten Rituale dort zelebrierte, dann konnte er fliegen, wohin er wollte. Das erste Mal, daß ich mir gewahr wurde, daß diese Indianer archaische schamanische Techniken beherrschen, die ihre Seele reisen lassen, war anläßlich eines Hundemords. In der kleinen Ortschaft am Rande der Bighorns, wo wir wohnten, konnten die Hunde noch frei herumlaufen. Einige alte Frauen fürchteten sich jedoch vor den Hunden und stifteten einen Säufer an, die Tiere heimlich mit vergifteten Hackfleisch umzubringen. Fast alle Hunde starben. An diesem Zeitpunkt weilten Elkshoulder und Tallbull auf dem heiligen Berg, Nowah’wus. In der folgenden Woche traf ich Tallbull, der seit der Rückkehr vom Berg noch nicht in der Ortschaft gewesen war. Als erstes stellte er mir die Frage: „Wo sind Eure Hunde? Wir sind über euer Dorf geflogen, da waren keine Beller da!“ (Hunde sind den Cheyenne übrigens heilige Tiere - auch wenn gelegentlich ein noch milchsäugender Welpe mit in die Suppe kommt. Jeder Cheyenne hat fünf bis sieben Hunde, und Welpen werden gerne verschenkt. Die Hunde sind nicht nur als Wächter und Jagdgefährten wertvoll, sondern ihre Träume bringen den Menschen Segen - sagen die Indianer.)

Also konnte ich, auch wenn er nicht körperlich anwesend war, dennoch mit den großen Medizinmann kommunizieren und Interessantes lernen. Im Rahmen der herkömmlichen Wissenschaftsmethode ist das natürlich nicht nachvollziehbar, ist reiner Humbug. Aber dann, als Völkerkundler stößt man immer wieder auf Dinge, für die unser kulturgebundenes (culture bound) und letztlich ethnozentrisch konstruiertes Paradigma keinen Platz findet. Ja, lieber Horatio, es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumt! (Shakespeare, Hamlet, I,5) Und dann, so wird gemunkelt, soll es auch hier schon wieder „Hexen“ geben, die bei Vollmond ihren Astralleib durch den Äther schwirren lassen.

Von Dr. Wolf Dieter Storl