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  Artikel: Auf den Spuren des Urschamanen  
 
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Auf den Spuren des Urschamanen:

Maile Lama, Indra Gurung und Mohan Rai aus Nepal
Im Schneidersitz leicht nach vorne gebeugt, die Aufmerksamkeit nach innen gelenkt, Schweißperlen im dunkel gegerbten Gesicht, schlägt Maile Lamadie Trommel, deren Rhythmus sich intensiviert, während sie ihre alten Hymnen singt - bedeutungsträchtige Melodien aus einer fernen, schon verloren geglaubten Zeit. Sie ruft die Kräfte dieser Erde, die das Geschick der Menschen bestimmen, bittet um ihre Hilfe, bittet um ihren Segen.

In Trance folge ich meinen inneren Bildern, sehe ich durch sie hindurch die Tradition der Meister, höre Bonjankri zu mir sprechen, während mein Körper vibriert und durch den Raum geworfen wird. Maile war auf einer Seelenreise zu meinem Wohnhaus in Deutschland gereist und sie berichtet von unserer großen Linde und dem Teich, die sie dort gesehen hat. Sie gibt mir auf, regelmäßig vor dem Baum zu beten und die Nagas (Schlangengeister) im Teich zu verehren. Ich bin glücklich.

Und ich spüre, dass ich jetzt springen mußte. Ich überließ mich dem Ritual, den Rhythmen der Trommel und den Mantren Indras, und plötzlich spürte ich eine innere Kraft, die mich trieb und zum offenen Kamin laufen ließ- ich war außer mir und hatte alle Kontrolle aufgegeben. Ich verspürte einen unbezähmbaren Drang, mich mit dem Feuer vor mir zu verbinden und griff ins Feuer und begann die Glut zu essen.

Ich war in den letzten Monaten unter merkwürdigen Umständen wiederholt mit dem Tod konfrontiert worden und mein Sohn war an Leukämie erkrankt. Doch die Heilkraft der schamanischen Heilrituale wurde mir erneut vor Augen gestellt, als bei meinem Sohn nach einer Zytostatika-Behandlung die Zahl der Blutkörperchen massiv abgefallen war. Nach einem intensiven gemeinsamen Heilritual hatten sich die Laborwerte am nächsten Tag so gut erholt, daß ein bereits fertiggestelltes Thrombozytenkonzentrat nicht gegeben zu werden brauchte. Da sich keine medizinische Erklärung fand, wurden die Messergebnisse des Vortages angezweifelt. War es Zufall? Wer schamanisch arbeitet, muß damit rechnen, daß ihm so manches zu-fällt.

Es wurde mir bei der Beschäftigung mit dem nepalesischen Schamanismus klar, daß dieser zwar eine kulturgebundene Form besitzt, aber auf universalen Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Psyche beruht und daher für mein Selbstverständnis als Arzt und mein therapeutisches Handeln eine praktische Relevanz besaß. Durch meine Auseinandersetzung mit den Schamanen und die neuen Erfahrungen erweiterten sich mein Menschenbild und meine Vorstellung von dem, was Krankheit und Heilung bedeutet.

Die westliche Medizin hat sich schon immer - z.T. gepaart mit kolonialer Überheblichkeit und Abwertung - aus dem schamanischen Wissen bedient. So entstammen eine Reihe der wichtigsten heute in der westlichen Medizin verwendeten Arzneimittel, dem Kräuterwissen der Schamanen. Einzelne Konzerne gingen auch soweit, sich alte Pflanzenrezepturen patentieren zu lassen und damit dem Zugriff der traditionellen Heiler rechtlich zu entziehen. Auch die Hypnose und die davon abgeleiteten modernen Entspannungstechniken und verschiedene humanistische und transpersonale Psychotherapiemethoden, haben ihre Wurzeln in der schamanischen Heilpraxis. Eine nähere Betrachtung nepalesischer Heilrituale zeigt, daß in ihnen eine Reihe unterschiedlicher auch in der westlichen Psychotherapie verwendete Methoden sinnvoll miteinander verwoben sind.

Erst die Entwicklung der modernen psychosomatischen Konzepte ermöglicht uns ein tieferes Verständnis der Wirkmechanismen schamanischer Heilrituale.

Der tiefe Eindruck, den schamanische Heilrituale beim Teilnehmer hinterlassen, beruht auf ihrer Unmittelbarkeit und Ganzheitlichkeit, die alle Ebenen des Menschen ergreift, sowie ihren kosmischen Bezug. Damit sind die Schamanen Nepals für mich die Bewahrer einer echten Heilkunde, wie sie in der westlichen Medizin unter dem Zeit- und Kostendruck einer Apparatemedizin immer weniger möglich ist. Dr. Christine Binder-Fritz, Österreich

Medizinanthropologin, Forschungsassistentin an der Abteilung Ethnomedizin, Institut der Geschichte der Medizin, Universität Wien. Seit 1989 Forschungsaufenthalte in Aoteaora/ Neuseeland. Sie lebte bei Angehörigen des Tuhoe und Te Arawa Stammes und ist mit der Maori-Kultur bestens vertraut. Forschungsschwerpunkt: Integration von Heil-Ritualen und Pflanzenheilkunde der Maori-Medizin in die öffentlichen Gesundheitsdienste Neuseelands.

Von Andreas Reimers